LG München I, Urteil v. 11.10.2005, Az. 33 O 8728/05 – Red. Leitsätze:
- Durch die Videotext-Werbung erfolgt eine Täuschung der angesprochenen Verkehrskreise, wenn fälschlich der Eindruck vermittelt wird, dass es sich bei dem beworbenen Angebot um eine Plattform handelt, über die flirt- oder erotikinteressierte Personen Kontakt miteinander aufnehmen können.
- Durch die unzutreffenden Angaben in der streitgegenständlichen Werbung im Hinblick auf die Merkmale der beworbenen Dienstleistung (Kontaktmöglichkeit mit anderen Flirt-interessierten Personen) ist von einer erheblichen Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit der mit der Anzeige angesprochenen Verbraucher auszugehen.
- Die Anweisungen an die Mitarbeiter haben den Zweck, den Interessenten den Eindruck zu vermitteln, sie würden nicht mit Callcenter-Mitarbeitern, sondern mit Privatpersonen per Handy chatten.
Nach fast vier Jahren nach diesem Urteil ist nun aktuell das erste Strafverfahren wegen virtueller Kontakt-Plattformen durch Callcenter beim LG Kiel anhängig. Vergleichbare Verfahren können daher vielleicht auch noch bald ein erstes Verfahren gegen einen Betreiber einer Abo-Falle und deren Inkasso-Dienste erwartet werden. Der Vorwurf lautet auf Betrug (§ 263 StGB) der getäuschten Kunden. Dieser Vorwurf trifft für falsche SMS-Chats ebenso zu, wie für die Täuschung über das Bestehen von Forderungen einer Abo-Falle.
Rechtsanwalt Siegfried Exner, Kiel – www.jur-blog.de
LG München I, Urteil v. 11.10.2005, Az. 33 O 8728/05 – SMS-Chats durch professionelle Kommunikationsagenten
Tenor
I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs SMS-Nachrichten von Verbrauchern von professionellen Kommunikationsagenten beantworten zu lassen, wenn die SMS-Dienste als Kennenlernplattform wie nachfolgend abgebildet beworben werden: (Hier ohne Bilder)
II. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 15.000,– vorläufig vollstreckbar.Tatbestand
Die Parteien streiten über die Berechtigung der Beklagten, SMS-Nachrichten von Verbrauchern durch professionelle Kommunikationsagenten beantworten zu lassen, wenn die SMS-Dienste in einer Art beworben werden, die suggeriert, es bestünde die Möglichkeit zum Kennenlernen anderer interessierter privater Singles.
Im Videotext wurde mit den im Tenor abgebildeten Werbeanzeigen geworben. Darin heißt es u.a.:
„Flirt Fieber – Kennen lernen, Quatschen, Flirten, Verlieben … Alles ist möglich!!“, „Single-Frauen-Chat […] Single-Frauen per SMS kennen lernen! […] Alea: 21, Studentin, Schütze […] Charlotte: 33, Hausfrau, Fische […] Henriette; 23, Friseurin, Widder […]“, „Der SMS Privat-Chat”.
Die Übersendung einer SMS an die angegebene Kurzwahlnummer kostet den Interessenten 1,99 €. Die SMS des Interessenten wird dann nicht von einem “natürlichen” Flirt-Partner, sondern von einem professionellen, bei der Beklagten beschäftigten Kommunikationsagenten beantwortet.
Ein freier Mitarbeiter des Klägers bewarb sich aufgrund folgender Anzeige im Berliner Stadtmagazin „Zitty“ am 20.1.2005 bei der Beklagten:
„Kommunikationsagenten (freie Mitarbeiter) zur Beantwortung von SMS-Nachrichten mit erotischen Inhalten gesucht, aufgeschlossen und flexibel, gute Rechtschreibkenntnisse, freie Zeiteinteilung (Homearbeit möglich) …“
Daraufhin erhielt er eine Einladung zu einem Informationsgespräch, das am 25.1.2005 stattfand. Bei diesem Gespräch wurden die etwa 10 Teilnehmer soweit über die Tätigkeit aufgeklärt, dass sowohl erotische als auch reine Flirtgespräche zu führen seien. Zudem wurden u.a. Hinweise darüber erteilt, wie bei nicht-sexuellen Chats zu verfahren sei: – Keine persönlichen Treffen ausdrücklich in Aussicht stellen; wenn der Chatpartner ein Treffen wünscht, ein solches auch nicht ausdrücklich ausschließen, sondern immer nur hinhalten und vage bleiben;
- regionale Anpassung an den Chatpartner, d.h. nie einen Ort als eigenen Wohnort angeben, der zu weit von dem des Chatpartners entfernt ist (maximal 100 km). Dieser habe dann kein Interesse und vor allem keine Hoffnung, dass man sich auch persönlich treffen könnte;
- den Eindruck vermitteln, man chatte ebenfalls mit Handy und nicht am PC, daher z.B. keine Groß- und Kleinschreibung berücksichtigen;
- niemals erzählen, man arbeite in einem Call-Center oder in der Internetbranche;
- wenn der Chatpartner die richtige Telefonnummer wünscht, erzählen, man könne sie aus technischen Gründen nicht mitteilen, oder aber habe schlechte Erfahrungen gemacht und wolle sie deswegen nicht mitteilen;
- das Profil des Chatpartners genauestens pflegen, damit sich jeder Callcenter-Mitarbeiter auch bei späteren Chats in die erwartete Rolle hineinversetzen könne.
Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte hafte für die streitgegenständlichen wettbewerbswidrigen Wettbewerbshandlungen, da diese im Zusammenwirken mit ihrem Auftraggeber den falschen Eindruck erwecke, ein natürlicher Flirtpartner sei an einem persönlichen Kontakt interessiert. Die Beklagte führe jedenfalls gemeinsam mit ihrem Auftraggeber Verbraucher in die Irre, wenn sie den Eindruck erwecke, dass die SMS-Mitteilungen von Privatpersonen beantwortet werden.
Nach Rücknahme eines zweiten Klageantrags (Zahlung von 150,- € nebst Zinsen als Abmahnkosten) beantragt der Kläger zuletzt, die Beklagte zu verurteilen, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,-, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs SMS-Nachrichten von Verbrauchern von professionellen Kommunikationsagenten beantworten zu lassen, wenn die SMS-Dienste als Kennenlernplattform wie nachfolgend abgebildet beworben werden: [..]
Die Beklagte beantragt Klageabweisung. Die Beklagte ist der Auffassung, sie sei nicht passivlegitimiert. Sie schalte die entsprechende Werbung nicht selbst und habe auf den Inhalt keinen Einfluss. Sie trete selbst gegenüber Verbrauchern nicht am Markt auf. Eine Verantwortlichkeit der Beklagten ergebe sich auch nicht aus der Art und Weise des von dem Kläger geschilderten Mitarbeiter-Coachings. Ein derartiges Coaching diene lediglich der Ausbildung für professionelle Dienstleister in diesem Bereich.
Beim Einsatz professioneller Chat-Mitarbeiter sei es üblich, dass diese eine möglichst attraktive Rolle übernähmen. Die Tätigkeit der Beklagten an sich sei zulässig. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird verwiesen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11.10.2005.
Entscheidung
Dem Kläger steht gegen die Beklagte der geltend gemachte Anspruch auf Unterlassung aus §§ 8 I, 3, 5 II Nr. 1 UWG zu.
I. Der Kläger ist gem. § 8 III Nr. 3 UWG, § 4 UKIaG aktivlegitimiert. Er ist in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKIaG eingetragen.
II. Die streitgegenständliche Videotext-Werbung ist eine unlautere Wettbewerbshandlung i.S.d. § 3 UWG.
1. Es liegt eine irreführende Werbung i.S.d. § 5 I, II Nr. 1 UWG vor. Durch die Videotext-Werbung erfolgt eine Täuschung der angesprochenen Verkehrskreise über die Merkmale der angebotenen Dienstleistung, insbesondere über die Art dieser Dienstleistung. Der Nutzer des SMS-Dienstes erhält nicht das, was er nach den Videotextanzeigen erwarten kann.
a) Bei der Bestimmung des Aussagegehalts der streitgegenständlichen Videotext-Anzeigen ist auf das Verständnis der angesprochenen Verkehrskreise abzustellen, hier also Flirt-interessierte Personen. Diese gewinnen aus den Anzeigen den Eindruck, dass es sich bei dem beworbenen Angebot um eine Plattform handelt, über die flirt- oder erotikinteressierte Personen Kontakt miteinander aufnehmen können. Aufgrund der Aufmachung der Werbung rechnen sie nicht damit, mit einem professionellen Kommunikationsagenten, der in Wirklichkeit an einem Zusammentreffen kein lnteresse hat, in Kontakt zu treten. Dies ergibt sich zum einen aus der ausdrücklichen Bezeichnung „Der SMS-Privat-Chat“, zudem aus den verschiedenen mit Name, Alter, Beruf und teilweise auch Sternzeichen bzw. „Motto“ beschriebenen Personen. Diese sind insbesondere bezüglich Alter und Beruf höchst verschieden, was den Eindruck, mit „natürlichen“ Personen in Kontakt zu treten, verstärkt. Auch bereits die Einstiegsseite, wo es heißt „Kennenlernen, quatschen, flirten, verlieben… alles ist möglich!.” Erweckt den Eindruck, dass auch ein tatsächliches persönliches Aufeinandertreffen möglich sein kann.
b) Tatsächlich tritt der Nutzer des Angebots nicht mit flirtwilligen Privatpersonen in Kontakt, sondern mit den Mitarbeitern der Beklagten, die unstreitig den in der Anzeige genannten Beschreibungen nicht entsprechen, nicht als Privatpersonen, sondern im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit die Nachrichten beantworten und an einem persönlichen Kennenlernen keinerlei lnteresse haben.
2. Die irreführende Werbung in der geschilderten Form ist geeignet, den Wettbewerb zum Nachteil der Verbraucher nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen. Durch die unzutreffenden Angaben in der streitgegenständlichen Werbung im Hinblick auf die Merkmale der beworbenen Dienstleistung (Kontaktmöglichkeit mit anderen Flirt-interessierten Personen) ist von einer erheblichen Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit der mit der Anzeige angesprochenen Verbraucher auszugehen. Gerade derjenige Verbraucher, dem es auf die Möglichkeit eines persönlichen Kennenlernens und auf die Möglichkeit einer künftigen Beziehung ankommt, würde die Leistungen der Beklagten bei wahrheitsgemäßer Werbung nicht in Anspruch nehmen.
III. Die Beklagte ist passivlegitimiert im Sinne des § 8 Abs. 1 UWG.
Die Beklagte ist an der Zuwiderhandlung gegen § 3 UWG täterschaftlich beteiligt. Erforderlich hierfür ist, dass der in Anspruch genommene durch sein Handeln den objektiven Tatbestand einer Zuwiderhandlung i.S.d. § 3 adäquat kausal verwirklicht (Baumbach/Hefermehl, Komm. zum Wettbewerbsrecht, 23. Aufl. 2004, § 8 Rn. 2.5). Dies ist vorliegend der Fall. Ohne das Mitwirken der Beklagten wäre die Zuwiderhandlung gegen § 3 UWG in der streitgegenständlichen Form nicht möglich. Für die Beklagte wird im Rahmen der Videotext-Werbeanzeigen durch Einblendungen der Nummer, mit der sie per SMS erreichbar ist, geworben.
Aus den Umständen ergibt sich, dass die Beklagte von der Art und Weise der Werbung zumindest Kenntnis hatte. Dies ist aus dem Inhalt des durch die Beklagte durchgeführten Mitarbeitercoachings ersichtlich: Die Anweisungen an die Mitarbeiter haben den Zweck, den Interessenten den Eindruck zu vermitteln, sie würden nicht mit Callcenter-Mitarbeitern, sondern mit Privatpersonen per Handy chatten. Nur dafür machen die Anweisungen, man solle sich regional an den Chatpartner anpassen, man solle den Eindruck erwecken, ebenfalls mit Handy zu schreiben, niemals zu erzählen, man arbeite in einem Callcenter oder in der Internetbranche oder solle Anfragen nach der richtigen Telefonnummer „abwimmeln”, Sinn.
Der Auftraggeber der Werbung und die Beklagte wirkten insofern bei dem Verstoß gegen § 3, 5 Abs. 2 Nr. 1 UWG zusammen. Die streitgegenständliche Werbung stellt sich erst und nur aufgrund der konkreten Art der Umsetzung durch die Beklagte als irreführend i.S.d. § 3 UWG dar. Wie sich aus den Umständen ergibt, war dies beiden „Partnern“ bewusst.
„Kommunikationsagenten (freie Mitarbeiter) zur Beantwortung von SMS-Nachrichten mit erotischen Inhalten gesucht, aufgeschlossen und flexibel, gute Rechtschreibkenntnisse, freie Zeiteinteilung (Homearbeit möglich) …“
Daraufhin erhielt er eine Einladung zu einem Informationsgespräch, das am 25.1.2005 stattfand. Bei diesem Gespräch wurden die etwa 10 Teilnehmer soweit über die Tätigkeit aufgeklärt, dass sowohl erotische als auch reine Flirtgespräche zu führen seien. Zudem wurden u.a. Hinweise darüber erteilt, wie bei nicht-sexuellen Chats zu verfahren sei: – Keine persönlichen Treffen ausdrücklich in Aussicht stellen; wenn der Chatpartner ein Treffen wünscht, ein solches auch nicht ausdrücklich ausschließen, sondern immer nur hinhalten und vage bleiben;
– regionale Anpassung an den Chatpartner, d.h. nie einen Ort als eigenen Wohnort angeben, der zu weit von dem des Chatpartners entfernt ist (maximal 100 km). Dieser habe dann kein Interesse und vor allem keine Hoffnung, dass man sich auch persönlich treffen könnte;
– den Eindruck vermitteln, man chatte ebenfalls mit Handy und nicht am PC, daher z.B. keine Groß- und Kleinschreibung berücksichtigen;
– niemals erzählen, man arbeite in einem Call-Center oder in der Internetbranche;
– wenn der Chatpartner die richtige Telefonnummer wünscht, erzählen, man könne sie aus technischen Gründen nicht mitteilen, oder aber habe schlechte Erfahrungen gemacht und wolle sie deswegen nicht mitteilen;
– das Profil des Chatpartners genauestens pflegen, damit sich jeder Callcenter-Mitarbeiter auch bei späteren Chats in die erwartete Rolle hineinversetzen könne.
Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte hafte für die streitgegenständlichen wettbewerbswidrigen Wettbewerbshandlungen, da diese im Zusammenwirken mit ihrem Auftraggeber den falschen Eindruck erwecke, ein natürlicher Flirtpartner sei an einem persönlichen Kontakt interessiert. Die Beklagte führe jedenfalls gemeinsam mit ihrem Auftraggeber Verbraucher in die Irre, wenn sie den Eindruck erwecke, dass die SMS-Mitteilungen von Privatpersonen beantwortet werden.
Nach Rücknahme eines zweiten Klageantrags (Zahlung von 150,- € nebst Zinsen als Abmahnkosten) beantragt der Kläger zuletzt, die Beklagte zu verurteilen, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,-, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs SMS-Nachrichten von Verbrauchern von professionellen Kommunikationsagenten beantworten zu lassen, wenn die SMS-Dienste als Kennenlernplattform wie nachfolgend abgebildet beworben werden:
[s. Abbildungen im Tenor]
Die Beklagte beantragt Klageabweisung.
Die Beklagte ist der Auffassung, sie sei nicht passivlegitimiert. Sie schalte die entsprechende Werbung nicht selbst und habe auf den Inhalt keinen Einfluss. Sie trete selbst gegenüber Verbrauchern nicht am Markt auf. Eine Verantwortlichkeit der Beklagten ergebe sich auch nicht aus der Art und Weise des von dem Kläger geschilderten Mitarbeiter-Coachings. Ein derartiges Coaching diene lediglich der Ausbildung für professionelle Dienstleister in diesem Bereich.
Beim Einsatz professioneller Chat-Mitarbeiter sei es üblich, dass diese eine möglichst attraktive Rolle übernähmen. Die Tätigkeit der Beklagten an sich sei zulässig. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird verwiesen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11.10.2005.
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